Der Flow-Zustand und das chinesische Wu-Wei-Prinzip

Im Daoismus gibt es den Begriff des Wu-wei (无为, Aussprache). Auf Deutsch würden wir diesen Begriff wohl als „Nichthandeln“ übersetzen, aber das ist eigentlich eine irreführende Definition. Vielmehr geht es beim Wu-wei darum, dass Handlungen spontan in Einklang mit dem Dao entstehen. In diesem Zustand erkennt der Geist intuitiv den besten Weg, um Ziele zu erreichen, der Intellekt würde hingegen nur stören. Es geht also eher darum, nicht aktiv zu handeln, sondern intuitiv.

Auch im Westen ist das Prinzip des Wu-Wei unter einem anderen Namen bekannt. Hier bezeichnen wir es als Flow-Zustand. Dieser Zustand wurde im Jahr 1975 dank des Psychologen Mihály Csíkszentmihályi das erste Mal einer größeren Öffentlichkeit bekannt.

Der Flow-Zustand ist jener Zustand, in dem die Dinge scheinbar von alleine funktionieren: Im Flow haben wir kein Zeitgefühl und schon gar keinen Hunger, wir denken nicht an gestern und schon gar nicht in morgen. Vielmehr gehen wir ganz in unserer Tätigkeit auf. Die alten Chinesen würden sagen, dass Körper und Geist zu einer Einheit verschmolzen sind.

Tennis – Das innere Spiel

In der Praxis (insbesondere im Sport) wurde das Flow-Prinzip auch im Westen schon vor den Arbeiten von Professor Csíkszentmihályi angewendet. Ein prominentes Beispiel dafür ist das 1972 veröffentlichte Buch „Tennis – das innere Spiel“ von Tennistrainer Timothy Gallwey. Ursprünglich als Ratgeber für angehende Tennisprofis gedacht, entwickelte sich das Buch schon bald zu einem Weltbestseller, der sich bis heute gut verkauft. Der Grund: Die Prinzipien des Buchs lassen sich mühelos auf alle anderen Sportarten und Tätigkeiten übertragen, die ebenfalls Höchstleistungen erfordern.

So wurde Gallwey innerhalb weniger Jahre vom Tennis-Coach zu einem gefragten Business-Coach, der noch heute sein Prinzip lehrt und weitergibt.

Doch was sind die genauen Aussagen des Buchs?

Laut Gallwey gibt es zwei Ich-Zustände: Nr. 1 ist der rationale Teil, Nr. 2 der intuitive Teil, der wohl auch als das Unterbewusste bezeichnet werden kann.

Auf diesen Teil können wir zugreifen, wenn wir uns nicht anstrengen, wenn wir nicht nachdenken, wenn wir die Dinge einfach fließen lassen. Und (überraschenderweise) gelingen uns in diesem Zustand die besten Dinge. Eben genau nicht dann, wenn wir aktiv nachdenken, was zu tun ist, wenn wir Dinge erzwingen wollen, sondern dann, wenn wir zulassen, dass die Dinge ihren Lauf nehmen.

So gewinnt bei einem Tennismatch oft auch genau jener Spieler, der den Sieg weniger stark erzwingen will. Oft ist schon vor dem Match anhand der Körpersprache der beiden Spieler ersichtlich, wer nach dem Matchball mit dem Pokal vom Platz gehen wird. Denn derjenige, der den Sieg zu stark zu forcieren versucht, wirkt oft verkrampft und verbissen.

Ein Tennismatch ist so gesehen nicht der Kampf gegen einen anderen Spieler, sondern vor allem ein Kampf gegen das eigene Ich. Denn wenn der rationale Teil versucht, alle Dinge zu kontrollieren, lähmt er dadurch das System. Zwar hat der rationale Teil durchaus seine Berechtigung, es ist jedoch zu langsam, um alle Dinge gleichzeitig zu steuern. Das deckt sich übrigens auch mit der modernen Forschung, die herausgefunden hat, dass das Unterbewusstsein circa zehntausendmal schneller arbeitet als der bewusste Verstand.

Den dramatischen Unterschied zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein kannst du selbst erleben, wenn du beispielsweise über einen schmalen Balken gehst. Solange dieser am Boden liegt, ist es nicht schwierig, ihn zu überqueren; doch sollte er in 10 Metern Höhe schweben, sieht die Sache ganz anders auf: Plötzlich hast du kein Gleichgewicht mehr und drohst sogar, runterzufallen.

Das liegt zum größten Teil daran, dass unser rationales Ich aktiviert worden ist. Auf zwei Beinen zu gehen, ist in Wirklichkeit eine sehr komplexe Angelegenheit. Wenn wir versuchen, alle Bewegungsabläufe zu kontrollieren, die notwendig sind, um beim Gehen im Gleichgewicht zu bleiben, haben wir keine Chance, stabil zu bleiben. Erst dadurch, dass wir durch viel Ãœbung als Kleinkind diese Bewegungsabläufe abgespeichert und automatisiert haben, können wir scheinbar mühelos auf unseren beiden Beinen gehen, ohne umzufallen.

Wie kannst du den Flow-Zustand erreichen? 4 Tipps

Bild eines Tennisschlägers mit Ball. Bezieht sich auf das Buch Tennis - das innere Game, das erklärt wie der Flow-Zustand im Sport funktioniert

1) Je mehr du versuchst, den Flow-Zustand zu erreichen, desto mehr entfernst du dich von ihm. 

Das Geheimnis liegt darin, entspannt zu bleiben. Das ist wohl auch der Grund, warum Meditation als Entspannungstechnik immer beliebter wird. Wer Erfahrung mit Meditation hat, wird im Alltag öfter im Flow sein.

2) Dinge ausgiebig zu üben, hilft ebenfalls:

Um Sachen automatisch zu machen, müssen sie in unserem Körper abgespeichert werden.

Wenn du Gitarre spielen lernst, wirst du am Anfang kaum in den Flow-Zustand kommen, weil es einfach zu viele Dinge gibt, an die du gleichzeitig denken musst, die du aber noch nie zuvor gemacht hast.

Das Wechseln der Akkorde wirkt wie ein Ding der Unmöglichkeit, doch je mehr du übst, desto leichter wird es dir von der Hand gehen, bis die Wechsel schlussendlich eine ganz intuitive Sache sind, über die du nicht mehr viel nachdenken musst. Oft zahlt es sich schon aus, Dinge einfach täglich zu machen.

3) Auch solltest du die Dinge, die du tust, gerne machen.

Wenn du dich innerlich gegen eine Handlung sträubst, wird das intuitive Ich nicht aktiviert werden.

Ich selbst spüre den Flow beim Schreiben von Blogbeiträgen: Wenn ich über ein Thema schreiben muss, weil das von einem Vorgesetzten oder einem Kunden so verlangt wurde, bin ich deutlich weniger kreativ als beim spontanen Schreiben von Texten.

Wenn ich frei von der Leber über eine Sache scheibe, merke ich oft gar nicht, wie die Zeit währenddessen vergeht. Und wenn ich danach den Text durchlese, bin ich oft positiv überrascht, was ich alles in den Computer getippt habe.

Merke dir deshalb: Dinge, die du ohne Leidenschaft betreibst, wirst du nie so gut machen, wie jene Dinge, die deine Leidenschaft wecken. Nur dort wirst du den Flow-Zustand erreichen und nur so kannst du auch wirklich Bestleistungen erzielen und schließlich auch irgendwann Momentum erreichen.

4) Eine weitere Sache sind Ablenkungen.

Vielleicht hast du schon vom Deep-Work-Prinzip gehört? Die Idee dahinter ist, dass man während der Arbeitseinheiten alle Ablenkungen abstellt: Also eingehende E-Mails, Anrufe, Benachrichtigungen am Smartphone oder tratschende Kollegen werden einfach blockiert.

Denn nur durch Konzentration auf eine einzige Sache kommst du  in den Arbeitsflow. Wirst du bei der Arbeit jedoch unterbrochen, wird auch dein Flow unterbrochen und du brauchst oft lange, um wieder deinen Rhythmus zu finden.

Fazit: Was ist nun der Flow-Zustand?

Wu-wei beziehungsweise der Flow-Zustand ist derjenige Zustand, in dem wir Höchstleistungen erbringen können. Um diesen Zustand zu erreichen, müssen wir unser aktives Ich abschalten. Das schaffen wir, indem wir uns entspannen, durch Ãœbung viel Erfahrung in einer bestimmten Tätigkeit sammeln, Leidenschaft für eine Sache aufbringen und Ablenkungen vermeiden.

Den Flow-Zustand zu erreichen, bedeutet auch, in der Gegenwart anzukommen und die Zeit nicht in einer alternativen Vergangenheit oder imaginären Zukunft zu verschwenden. Unser Leben spielt sich in der Gegenwart ab und wenn wir es schaffen, dass sich auch unser Geist in der Gegenwart befindet, können wir in diesem Zustand große Sachen erreichen.

Wie schaut es bei dir aus? Wie oft warst du in der letzten Arbeitswoche im Flow-Zustand? Kannst du dich überhaupt erinnern, jemals im Flow gewesen zu sein? Oder praktizierst du Wu-wei sowieso schon regelmäßig? Ich freue mich auf deine Antworten 🙂

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