Virales Marketing in Zeiten von Covid-19


Anfang der 2010er Jahre war K-Pop eine skurrile Pop-Nische, die im Westen nur einigen Nerds bekannt war. Dann kam Gangnam Style und stellte die Welt auf den Kopf.

Innerhalb von nur 3 Monaten erreichte das südkoreanische Lied als erstes Video überhaupt eine Milliarde Zuschauer auf YouTube.

Fast 10 jahre später, Ende 2019 tauchte in einer chinesischen Provinz das Virus Covid-19 auf, verbreitete sich von dort über die gesamte Welt und infizierte bis Ende 2020 fast 100 Millionen Menschen.

Was haben nun Gangnam Style und Covid-19 gemeinsam? Beides sind fantastische Beispiele für Viralität.

Virales Marketing ist sinngemäß eine Anspielung auf die rasante Verbreitung eines Virus. Doch oft wird dieses Konzept missverstanden.

Jeder Content-Produzent will, dass die eigenen Inhalte viral gehen, tatsächlich schaffen das nur sehr wenige. Dabei scheitern die meisten daran, dass sie das Konzept der Viralität nicht verstehen.

Reproduktionszahl im Viralen Marketing

Dank der Corona-Situation ist der Begriff „Reproduktionszahl“ inzwischen den meisten Menschen geläufig:

Ist diese Zahl größer als 1, steckt eine vom Virus befallene Person im Durchschnitt mehr als eine weitere Person mit ebendiesem Virus an, wodurch sich das Virus unaufhaltsam weiterverbreiten kann.

Sinkt die Reproduktionszahl hingegen auf weniger als 1, steckt die betroffene Person durchschnittlich weniger als eine weitere Person mit dem Virus an, weswegen das Virus früher oder später ausstirbt.

Virales Marketing bedeutet, dass die Reproduktionszahl der Marketingmaßnahme größer als 1 ist (zumindest für einen bestimmten Zeitraum). Wird ein Werbespot (oder ein Musikvideo wie Gangnam Style) durchschnittlich von jedem Zuschauer öfters als 1 x geteilt, geht dieses Video – und damit auch dessen Inhalt – viral. Es verbreitet sich immer weiter, oft exponentiell, sodass die Reichweite in kurzer Zeit unvorstellbar anwächst.

Das Erreichen der Gruppenimmunität

Nach einiger Zeit sinkt die Reproduktionsrate jedoch wieder, sowohl bei Viren als auch bei Videos. Das liegt daran, dass eine Gruppenimmunität erreicht wurde: Das Virus kann keine Personen ein zweites Mal befallen, wenn diese Personen eine Immunität entwickelt haben.

Ähnliche ist auch der Verlauf beim viralen Marketing: Eine Person, die ein Video schon gesehen hat, sieht es sich vielleicht noch ein zweites oder drittes Mal an, aber irgendwann ist dann auch Schluss. Das Video ist so bekannt, dass es in der relevanten Zielgruppe keine neuen Leute mehr erreichen kann. Außerdem wird es beim wiederholten Anschauen immer seltener geteilt und somit auch nicht verbreitet.

Wie erstelle ich virale Werbung, Videos oder Blogs?

Fast alle Tipps zum viralen Marketing, die ich bis heute im Internet fand, sind im Grunde falsch. Meistens wird behauptet, dass man die folgenden zwei Dinge tun muss, um beispielsweise ein Video viral gehen zu lassen:

  1. Das Video auf möglichst vielen Social-Media-Plattformen teilen
  2. Das Teilen des Videos möglichst einfach machen

Bevor mich jemand missversteht: Beides hat seine Berechtigung, aber diese zwei Tipps alleine führen noch lange nicht zu Viralität!

So wie ein Virus davon profitiert, wenn es sich in einem Wildtiermarkt mit mangelhaften Hygienevorschriften verbreiten kann, profitieren Videos davon, wenn sie über Social Media ins Blickfeld von möglichst vielen potenziellen Zuschauern gelangen.

Doch das ist nur der Beginn der Reise. Um zu überleben, muss das Virus auch eine Reproduktionszahl von +1 erreichen. Die meisten Viren schaffen das jedoch nicht und sterben schnell wieder aus. Nur ganz wenige haben Erfolg und dominieren in den Folgemonaten das Weltgeschehen – wie das eben auch mit Covid-19 der Fall ist.

Genauso ist es bei Videos, Blogposts oder anderweitigen Marketinginhalten. Auf Social Media sind wir ständig einem Flächenbombardement neuer Inhalte ausgesetzt, aber die Anzahl der wirklich erfolgreichen Inhalte bewegt sich tatsächlich im Promillebereich.

Nur die wenigsten Inhalte treffen wirklich den Nerv ihres Publikums und werden oft genug geteilt, um eine Reproduktionsrate von +1 zu erlangen und viral zu gehen.

Kannst du Viralität planen?

Viele Blogger, mit denen ich in der Vergangenheit gesprochen habe, meinten, dass sie selbst am meisten überrascht über ihre viralen Blogposts waren. Es waren oft gerade nicht jene Beiträge, in welche sie die meiste Arbeitszeit gesteckt hatten.

Tipp 2 besagt, dass du das Teilen möglichst leicht machen musst. Das glaube ich nicht. Niemand teilt einen Beitrag, nur weil ein überdimensionierter Sharing-Button in Signalfarbe darauf hinweist. Gangnam Style war für die Zuseher genauso so leicht zu teilen, wie jedes andere YouTube-Video, dennoch wurde es signifikant öfters geteilt.

Menschen teilen grundsätzlich solche Beiträge, von denen sie persönlich angesprochen werden. Entweder weil die Beiträge sie zum Lachen, Weinen oder zum Nachdenken brachten, oder sie auf andere Art und Weise von ihnen berührt werden.

Denn wenn es ein Inhalt schafft, eine große Emotion in uns auszulösen, haben wir das Bedürfnis ihn mit unseren Mitmenschen zu teilen.

Bloß weil ein Inhalt in dir eine Emotion auslöst, ist das jedoch noch kein Garant dafür, dass er dasselbe auch bei anderen Personen bewerkstelligen kann. Und genau dadurch zeichnet sich Viralität aus: Ein viraler Beitrag ist in der Lage sehr viele Menschen gleichermaßen emotional anzusprechen, sodass er eine virale Kettenreaktion auslösen kann.

Dazu muss er den Nerv der Zeit treffen, sich von konkurrierenden Inhalten abheben und im besten Fall authentisch sein. Es schadet außerdem nicht, wenn er Unterstützung von sogenannten Superspreadern bekommt.

Die Macht der Superspreader (1.000 True Fans)

Covid-19 hat uns auf das Phänomen der Superspreader aufmerksam gemacht.

Auch wenn die Reproduktionszahl über 1 liegt, stecken die wenigsten Menschen auch tatsächlich andere Personen an. Diesen Teil übernehmen die Superspreader. Einige wenige Personen sind für den größten Teil der Ansteckungen verantwortlich. Das klassische Pareto-Prinzip (auch als 80/20 Regel bekannt).

Auch virales Marketing ist ohne Superspreader kaum denkbar.

Der Journalist und Schriftsteller Kevin Kelly sprach vor ein paar Jahren vom Prinzip der „1.000 True Fans“. „Wenn du so viele Leute aufgebaut hast, die alles von dir kaufen und alle deine Inhalte teilen, wirst du automatisch Erfolg haben (egal in welcher Nische)“, meint Kelly.

Wenn wir diesen Gedanken weiterspinnen, müssten wir eigentlich 1.000 (oder mehr) Superspreader aufbauen. Also 1.000 Personen die andere Personen mit all deinen Inhalten und Ideen anstecken. Wer einen so großen Tribe aufgebaut hat, kann leicht virale Sachen schaffen (zumindest für einige Zeit).

1.000 klingt nach einer greifbaren Zahl. Wer jedoch ganz am Anfang steht, wird nur mit Mühe die Unterstützung von einigen wenigen Superspreadern bekommen (die eigene Mama nicht mitgezählt).

Doch keine Bange! Oft genügt zu Beginn ein einziger Superspreader, der fleißig für dich arbeitet. Kannst du dich noch an Julia Engelmann und ihr Poetry-Slam-Gedicht „Eines-Tages…“ erinnern?

Hier ist das Video, um deine Erinnerung aufzufrischen:

Julias Auftritt wurde erst ein halbes Jahr nach ihrem Auftritt vom Blogger Kai Thrun geteilt. Doch Kai steckte mit seiner Begeisterung so viele Menschen an, dass das Video von Julias Auftritt im deutschen Sprachraum bis heute 20 Millionen Mal angesehen wurde.

Wir sehen: Beim viralen Marketing geht es nicht um Masse, sondern um Klasse. Oder, was meinst du?

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert