Warum der Zettelkasten für dich nicht funktioniert

Der Zettelkasten wird oft als ultimatives Tool für Wissensarbeiter beschrieben. Als Beispiel wird oft die Geschichte von Niklas Luhmann erwähnt, der als Erfinder des Zettelkastens gilt und in seiner Karriere dutzende Bücher und Fachaufsätze veröffentlichte, obwohl er eigentlich ein Quereinsteiger in seinem Fach der Soziologie war.

Die meisten Otto-Normalbenutzter, die einen Zettelkasten verwenden (oder einer verwandten Methode wie dem Second Brain von Tiago Forte ), schaffen es jedoch nicht, mit dieser Methode tatsächlich einen merklich höheren Wissens-Output zu erzielen.

Das ist Wasser auf die Mühlen von Kritikern wie  die meinen, dass solche Systeme am Ende nur zum Horten von Wissen und der Prokrastination dienen.

Ich denke, dass diese Kritiker zum Teil recht haben. Das System wird als einfache Lösung verkauft, die eine komplexe Herausforderung lösen soll: Nämlich der besseren Organisation von Wissen, mit dem Ziel es zu einem späteren Zeitpunkt leichter abrufbar zu machen.

Der Zettelkasten erreicht dies, indem er Wissen mittels Hyperlinks vernetzt, was bemerkenswerte Parallelen zur Struktur unseres Gehirns aufweist, das aus miteinander verbunden Neuronen besteht.

Das Problem ist jedoch, dass der Zettelkasten in der Tat zum bloßen Horten von Wissen und Zitaten missbraucht wird.

Man neigt als Nutzer dazu, viel zu viel Irrelevantes abzuspeichern, weil man Angst hat, eventuell relevante Dinge zu übersehen und somit später nicht abrufen zu können.

Wer Wissen jedoch im Zettelkasten nur abspeichert, nutzt das System nur passiv, während die Vorteile sich erst dann herauskristallisieren, wenn der Nutzer das System auch aktiv nutzt.

Das ist jedoch der Part, der oft übersehen wird, weil eben das aktive Nutzen anstrengend ist und dem Nutzer abverlangt, tatsächlich zu arbeiten.

Meine persönliche Story mit meinem Zettelkasten

Ich selbst kann von meinen anfänglichen Erfahrungen mit dem Zettelkasten sprechen:

Ich wurde regelrecht süchtig danach, Zitate aus Artikeln oder Büchern zu speichern, aber ich hatte keine Muße mehr, im Anschluss über diese Zitate zu schreiben, was jedoch ein entscheidender Teil der Methode ist.

Der erste Schritt des Hortens ist leicht, Schreiben verlangt dem Nutzer jedoch kreative Energie ab und das fehlte, wenn ich Zitate in den Zettelkasten übertrug.

Das lag womöglich daran, dass ich mir schwer damit tat, meinen Arbeitsmodus von Organisation auf Kreativität umzuschalten, sodass die Kreativität während der Arbeit mit dem Zettelkasten zu kurz kam.

Kreativität ist aber das wichtigste Element jedes Wissenssystems, denn wir wollen mit unserer Arbeit ultimativ neues Wissen schaffen.

Letztlich ist es nicht so wichtig, ob die Notizen korrekt abgespeichert sind, oder ob man überhaupt alles relevante in den Zettelkasten übertragen hat.

Wichtig ist vielmehr der Prozess des Schreibens, denn hier denkt man nach, hier verarbeitet man Wissen, hier fallen einem vielleicht Wissenslücken auf und hier erstellt man Content-Snippets, die man in der Zukunft für Fachartikel, Essays, oder Bücher verwenden kann.

Es verwundert mich deshalb nicht, dass von Niklas Luhmann berichtet wird, dass er den ganzen Tag mit Schreiben verbrachte. Klar, er konnte auf einen gigantischen analogen Zettelkasten zurückgreifen, das Geheimnis seiner Produktivität beruhte jedoch hauptsächlich darauf, dass er mehr Texte schrieb als die meisten anderen Wissensarbeiter seiner Zunft.

Aus diesem Grund nahm ich mir im Jahr 2024 vor, mehr Zeit mit dem Schreiben von Mini-Essays zu verbringen. Das sind Essay wie dieses mit 300 bis 800 Wörtern, die ein einzelnes Thema behandeln.

Ich schätze, dass ich am Ende des Jahres bis zu 250 Essays geschrieben haben werde, die wiederum miteinander und mit Notizen verlinkt werden .

Das wird mir in Zukunft hoffentlich eine stärkere Wissensgrundlage schaffen, als das bloße passive Abspeichern von Dingen, die ich irgendwo aufgeschnappt habe. Vielleicht dienen diese Essays sogar als spätere Grundlage für ein zukünftiges Buchprojekt.

Denn bevor man ein Buch schreibt, sollte man über das Buchthema so ausführlich geschrieben haben, dass man die Texte nur noch zusammenfügen muss.

Aber das ist Stoff für ein anderes Essay.